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Glückliches Familienleben - Ein Roadtrip zu Heilung und Vertrauen

von: John & Stacey Lynch, Bruce & Janet McNicol, Bill & Grace Thrall

Grace today Verlag, 2020

ISBN: 9783959331210 , 196 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 9,99 EUR

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Glückliches Familienleben - Ein Roadtrip zu Heilung und Vertrauen


 

EPISODE EINS


LERNT DIE ELTERN KENNEN


Schweigen ist Gold. Bis es das nicht mehr ist.

Niemand im Auto redet. Niemand hat über die 120 Kilometer, die sich von Nord-Phoenix bis zum ersten Rastplatz auf dem Weg nach Los Angeles erstrecken, ein Wort geredet. Nur das dumpfe Surren von Reifen auf der Autobahn. Jeder außer dem Fahrer trägt diese kleinen weißen Ohrhörer und man hört absichtlich allem, nur einander nicht zu. Der Fahrer ist Jim Clawson. Er ist der Vater.

Und er ist auch größtenteils der Grund dafür, dass niemand miteinander spricht.

Jim und seine Frau Sarah besetzen die Vordersitze, während die vierzehnjährige Madison und der neunjährige Aiden hinten sitzen. In diesem Moment sind sie lediglich verärgerte Passagiere in einem vollgestopften Fahrzeug. Als Jim den Wagen anhält, werden die Ohrhörer herausgenommen. Und für einen flüchtigen Moment, bevor alle aussteigen, herrscht eine Schweigsamkeit, die mit Gold nichts zu tun hat. Sie flüstert jedem Mitglied der Clawsons zu, dass etwas mit ihrer Familie ganz und gar nicht stimmt.

Das sollte ein langer und abenteuerlicher Urlaub werden. Für jeden etwas dabei. Aus der sengenden Sommerhitze Arizonas für mehrere Tage nach Newport Beach. Dann die Küste hinauf nach Monterey und San Francisco, bevor schließlich durch mehrere Nationalparks hindurch der Heimweg zurückgelegt wird.

Sollte werden. Ah, was für eine Formulierung.

Jetzt kann Jim nur noch eine frustrierte Frau, eine wütende Tochter und einen Sohn sehen, der unpassend zusammengewürfelte Kleidung trägt, und das anscheinend nur, um seine Eltern auf die Palme zu bringen.

Es ist nie einfach, den genauen Moment zu erkennen, in dem eine Familie anfängt, sich selbst zu finden. Es mag einfacher sein, genau festzustellen, wann es am düstersten wurde. Für die Clawsons könnte dieser bestimmte Moment gestern Abend gewesen sein.

Vielleicht hätten sie es kommen sehen sollen. Einige der schlimmsten Verwüstungen, die eine Familie erleben kann, liegen im zwei- bis dreitägigen Zeitfenster vor Beginn eines Familienurlaubs oder auf dem Weg zur Kirche am Sonntagmorgen. Sicherlich ist das irgendwo dokumentiert. Mit Sicherheit.

Gestern Abend, kurz nach dem Abendessen, hatte Madison, auf halbem Weg durch die Haustür, »Geh zu Jeff« gerufen.

Drei kleine Worte.

Jim Clawson mag diesen Jeff nicht. Er mag überhaupt keinen fünfzehnjährigen Jungen besonders.

Er rannte hinaus in den Vorgarten und brüllte laut genug, dass auch die Nachbarn es hören konnten: »Du wirst nirgendwo hingehen. Dein Zimmer ist ein Saustall, du hast nicht gepackt, und das, worum deine Mutter dich gebeten hat, hast du auch nicht erledigt. Und überhaupt haben wir diesen Jeff noch nicht mal kennengelernt.« Madison war nicht weiter als sechs Meter von Jim entfernt. Sein Brüllen hatte seine Wirkung zweifellos nicht verfehlt.

Sie war gedemütigt, verletzt und wütend. Dann verletzt und wütend. Dann nur noch wütend. Und das alles innerhalb von Sekunden. Sie drehte sich um, lief an ihm vorbei zurück ins Haus, in ihr Zimmer und schlug die Tür zu. Jim ging ihr nach und hämmerte auf ihre verschlossene Tür ein.

»Warum machst du das immer? Madison, mach die Tür auf!«

Stille.

»Ich will nicht, dass du den Jungen triffst. Hast du mich verstanden?«

Mehr Stille.

»Hörst du mich?!«

Die Tür schwang ruckartig auf. Madison trat zurück und gab langsam folgende Worte von sich: »Ich bin nicht taub. Ebenso wenig wie die ganze Nachbarschaft. Ich kapier’ schon – du vertraust mir nicht. Du vertraust keinem von uns. Ach, und ich wollte diesen dummen Urlaub nie machen. Also werde ich so nervig sein, wie ich nur kann. Wart’s nur ab.«

Sie timte diese letzten Worte mit dem Zuknallen der Tür.

Es ist jetzt fünfzehn Stunden später an dieser kargen Wüsten-Raststätte. Jim, Sarah, Madison und Aiden steigen jeweils wieder in ihren vollgepackten Subaru Forester ein, wobei jeder seine Tür zuschlägt.

Lange vor dieser Reise war Sarah über eine Podcast-Reihe mit dem Titel »Genießt die Reise« gestolpert, die ein Freund sehr empfohlen hatte. Sie lud die Reihe auf ihr Smartphone. Ihr Plan war es, unterwegs jeden Tag Teile davon abzuspielen, um die Zeit rumzukriegen und vielleicht die Kinder in irgendeiner Weise einzubeziehen. Jim war überraschend offen dafür.

Jetzt erscheint die Idee lächerlich. Und manipulativ.

Als sie sich Blythe in Kalifornien nähern, fordert die Gleichförmigkeit der Wüste ihren Tribut von ihnen allen:

»Dad, Aiden soll von mir weggehen.«

»Jim, ich hasse die Wüste.«

»Sarah, ich hätte in Phoenix tanken sollen.«

»Mum, hat jemand mein Hemd in Kotze gewaschen? Es riecht nach Kotze.«

Blythe mitten im Sommer kann jedes Problem verschlimmern. Sie folgen der Abfahrt Lovekin auf eine Straße, die fast ausschließlich von Fast-Food-Restaurants gesäumt ist. Es ist früher Nachmittag am 14. Juli, 46 Grad und steigend. Als sie vom Auto zur ersten Mahlzeit dieses Urlaubs marschieren, ist der Asphalt des Parkplatzes spürbar aufgeweicht.

Wieder im Auto führt das Teilen von Burgern, Tacos und Zwiebelringen zu mehreren Streitigkeiten. Und Madison beschwert sich bei Jim, dass die kühle Luft der Klimaanlage nicht bei ihr ankommt.

»Sie ist immer noch nicht auf die Rückbank gerichtet«, sagt sie laut seufzend.

»Ich habe die Lüftung schon ausgerichtet.«

»Sie ist auf deine Tür gerichtet. Da sitzt niemand. Ich bin hier hinten. Auf dem Rücksitz.«

»Dann bläst keine Luft mehr auf deine Mutter und mich.«

»Ihr habt andere Lüftungsöffnungen. Zum Beispiel die, die auf die Tür gerichtet war.«

Und so weiter.

Jim, in dem Versuch, spielerisch die Stimmung aufzuheitern, sagt: »Lasst uns diesen Podcast hören.«

Madison setzt ihre Ohrhörer wieder ein. Aiden tut es ihr gleich.

»Jim, ich glaube nicht, dass das momentan eine gute Idee ist.«

»Sarah, das Letzte, was ich hören will, ist ein Eltern-Podcast. Aber es gibt hier draußen keine guten Radiosender. Und ich bin der Einzige ohne Ohrhörer.«

»Mach, was du willst. Aber halt mich da raus. Vielleicht später.«

»Aber ich brauche dein Smartphone zum Abspielen.«

»Wie soll ich dann meine Musik hören?«

»Komm schon, Sarah. Spiel es einfach zehn Minuten lang ab.«

Als die Clawsons auf die Auffahrt der Autobahn 10 nach Westen fahren, beginnt die erste Einheit von »Genießt die Reise«.

Die voluminöse Altstimme der Erzählerin erfüllt den ohnehin schon vollgepackten Subaru. Ihre ersten Worte sind erschreckend:

Wenn eure Kinder jung sind, birgt die Elternschaft genug Macht, um mit ihnen fertigzuwerden. Aber wenn ihr nicht erwachsen werdet, während sie älter werden, wird eure Unreife ihre Reife auf dem Niveau eurer eigenen stagnieren lassen. Und durch kein Maß an Kontrolle ist das in den Griff zu bekommen.

Fast unfreiwillig tun Jim und Sarah das, was sie in den letzten siebzehn Stunden vermieden haben. Sie sehen sich an.

»Warte. Was hat sie da gerade gesagt?«

»Was?«, antwortet Jim, immer noch fassungslos angesichts der Worte der Erzählerin.

»Die Frau in dem Podcast. Was hat sie gerade gesagt?«

Jim wirft einen Blick in den Rückspiegel, um zu sehen, ob Madison oder Aiden zuhören. Sie starren beide auf jeweils ihrer Seite des Autos in die Wüste hinaus, die Ohrhörer fest drin.

Sarah pausiert die Wiedergabe.

»Etwas über meine Unreife, glaube ich. Kannst du es nochmal abspielen?«

Sie tut es.

Aber wenn ihr nicht erwachsen werdet, während sie älter werden, wird eure Unreife ihre Reife auf dem Niveau eurer eigenen stagnieren lassen. Und durch kein Maß an Kontrolle ist das in den Griff zu bekommen.

»Also, was soll das bedeuten?« Sarah hält den Podcast an.

»Ich habe keine Ahnung. Es ist dein Podcast.«

Es vergehen einige Kilometer.

Sarah sagt fast mehr zu sich selbst: »Als sie noch kleiner waren, war es nicht so kompliziert. Ich musste mich nur mit der Zerstörung der Zuckertütchen in Restaurants abfinden. Und dem Geheule. Und dem Schlafmangel. Und damit, überall Sand herausklopfen zu müssen. Das ging die ganze Zeit so. Aber meistens dachte ich, ich hätte alles gut im Griff. Jetzt wirft mir Madison diesen Blick zu, der sagt: »›Du hast keinen Schimmer, was du mit mir jetzt anstellen sollst, oder?‹«

Jim hört zu, hält sich aber mit einer Reaktion zurück.

»Und sie hat ja vollkommen recht. Sie ist mir auf die Schliche gekommen. Ich habe keinen Schimmer mehr, wie ich sie erziehen soll.«

Weitere Kilometer vergehen. Die Straße fünfzig Meter weiter sieht in der hitzebedingten Luftspiegelung zur Mittagszeit wie ein See aus.

»Ich werde zu der Person, die ich mir selbst versprochen habe, niemals zu sein. All das, was ich nie sagen wollte. Die ganzen Regeln, von denen ich mir sagte, dass ich sie meinen Kindern niemals auferlegen würde. Die Manipulation, die Kontrolle, Streitereien auf ihrem Niveau. Und jetzt … tue ich genau das.«

Irgendwo in der Nähe des Chiriaco Summit stellt Sarah den Podcast wieder an.

Und sie lassen ihn einfach laufen. Die ganze erste Einheit durch.

Beide schauen auf den Rücksitz auf ihre inzwischen schlafenden Kinder.

Jim und Sarah fangen allmählich an, miteinander zu reden. Weder persönlich noch lebhaft. Aber es ist Reden. Nicht Schweigen.

IN DER EPISODE


Wir beginnen mit dem Zitat, das Jim und Sarah gemeinsam plötzlich aufhorchen ließ:

Wenn eure Kinder jung sind, birgt...